Wann ist ein Kind schulreif?

Ein Artikel der BNN vom 18. Januar 2024 über die Schulreife eines Kindes. Frau Lisa Exle vom Landratsamt Karlsruhe im Interview und ein Kommentar von Ekart Kinkel.

 

Wann muss ein Kind in die Schule?

 

Sobald es am Einschulungsstichtag sechs Jahre alt ist. „Mit Beginn des Schuljahrs sind alle Kinder, die bis 30. Juni des laufenden Kalenderjahrs das sechste Lebensjahr vollendet haben, verpflichtet, die Grundschule zu besuchen“, heißt es im baden-württembergischen Schulgesetz.

 

 

Können Kinder auch früher eingeschult werden?

 

Ja. „Auf Antrag der Eltern können Kinder, die noch nicht schulpflichtig sind, vorzeitig in die Grundschule aufgenommen werden“, steht in einem Infoschreiben des Kultusministeriums zu lesen. Angemeldet werden können Kinder, die in den zwölf Monaten nach Stichtag für die Einschulung sechs Jahre alt werden, also spätestens am 30. Juni 2025 ihren sechsten Geburtstag feiern.

 

 

Wer trifft die Entscheidung über eine frühzeitige Einschulung?

 

Schulleitung und Gesundheitsamt. „Die Kinder müssen in drei Bereichen schulreif sein“, sagt Pädagogin Lisa Exle vom Jugendamt im Karlsruher Landratsamt. „Und zwar sozial-emotional, kognitiv und körperlich“. Es gebe aber auch Kinder, die die kognitiven Voraussetzungen für die Schulreife erfüllten, aber nicht die emotionale Reife für den Schulbesuch hätten. Manche Kinder könnten schon rechnen, aber noch nicht lange stillsitzen.

 

 

Wann ist eine frühere Einschulung sinnvoll?

 

„Es gibt Kinder, die sind nachweislich so fit, dass sie bei einem weiteren Jahr im Kindergarten unterfordert sind“, sagt Exle. Die Folgen eines weiteren Kita-Jahres seien dann Frust und Verhaltensauffälligkeiten. Die frühere Einschulung von Kindern, die bis zum 30. September Geburtstag haben, sei meistens unproblematisch. Bis vor wenigen Jahren war der Stichtag für die Einschulung in Baden-Württemberg ohnehin noch der 30. September.

 

 

Was spricht gegen eine frühere Einschulung?

 

„Manche Kinder sind zwar schulreif, aber sie brauchen doch deutlich länger für die Bearbeitung ihrer Aufgaben. Oder sie sind kleiner und können nicht so schnell rennen“, sagt Exle. Auch eine solche Entwicklung könne Frustration erzeugen. Deshalb sei es wichtig, dass ein Kind in keinem der drei genannten Bereiche Defizite aufweise.

 

 

Welche Frage sollten sich Eltern stellen, wenn sie über eine frühere Einschulung nachdenken?

 

Viele. Ob das Kind mit Frustration und Wut umgehen kann, spielt für Exle ebenso eine wichtige Rolle wie die Frage, ob es ein hungriges Kind auch mal eine halbe Stunde ohne Essen aushält und wie sich der Nachwuchs in eine Gruppe einfügen kann. Doch es gehe auch um ganz pragmatische Fragen, etwa ob das Kind einen Schulranzen tragen und einen Klebstift richtig halten kann.

 

 

Welche Rolle bei der Entscheidung spielt die Kita?

 

Eine wichtige. In den meisten Kitas werden die Kinder in Gruppen eingeteilt. Der Stichtag für die Einschulung spielt dabei nicht immer die entscheidende Rolle, es kommt auch darauf an, ob die Kinder zusammenpassen und wie viele Kinder es in einer bestimmten Altersgruppe gibt. Deshalb kann es gut sein, dass etwa ein Juli-Kind in der Kita immer gemeinsam mit Mai- und Juni-Kindern betreut und so auf eine frühere Einschulung vorbereitet wird.

 

 

Spielen bei einer früheren Einschulung auch andere Faktoren wie die Fähigkeiten des Kindes eine Rolle?

 

Ja. „In letzter Instanz entscheidet die Schulleitung über eine frühere Einschulung“, sagt Exle. Dabei könnten auch die Gegebenheiten vor Ort eine Rolle spielen, etwa, ob es überhaupt noch freie Plätze in den Eingangsklassen gebe.

 

 

Können Kinder gezielt auf die frühere Einschulung vorbereitet werden?

 

Eigentlich nicht. „Erst in der Schule wird ein Kind zum Schulkind“, betont Exle. Mit den Kindern vorher Rechnen, Lesen oder Schreiben zu üben, sei aus pädagogischer Sicht sogar kontraproduktiv. „Keine Lehrkraft erwartet, dass ein Kind beim Schuleintritt schon schreiben kann“, sagt Exle. In den ersten Klassen gebe es ohnehin eigene Rituale, um die Kinder gemeinsam und behutsam an das neue Kapitel ihres Lebens heranzuführen.

 

 

Hat eine frühere Einschulung Auswirkungen auf die folgenden Schuljahre?

 

Auf jeden Fall. Wer ein Jahr früher eingeschult wird, ist auch, sofern man nicht wiederholen muss, ein Jahr früher fertig mit der Schule. Das kann bedeuten, dass ein Kind bereits mit 14 die Mittlere Reife oder mit Ende 16 oder Anfang 17 das Abitur in der Tasche hat. Weil die Kinder so früh aus der Schule kommen, steht auch das achtjährige Gymnasium seit Jahren in der Kritik. Eltern sollten sich auch deshalb gut überlegen, wann ihr Kind eingeschult werden soll.

 

 

Kann ein Kind auch später eingeschult werden?

 

Prinzipiell ja. Aber nicht einfach per Antrag, oder weil die Eltern der Meinung sind, dass es dann länger in der Schule bleiben darf. Zurückgestellt werden können Kinder nur wegen nachgewiesener Entwicklungsstörungen oder intellektueller Defizite. Dann müssen die Kinder in einer Grundschulförderklasse auf den Schuleintritt vorbereitet werden.

 

 

Was ist mit besonders begabten Kindern?

 

Die können direkt in die zweite Klasse eingeschult werden. Ein Wechsel von der ersten in die zweite Klasse ist auch zum Halbjahr möglich, außerdem kann die zweite Klasse auch übersprungen werden.

 

 

Setzen manche Eltern ihre Kinder mit der frühen Einschulung auch unter Druck? Oder halten sie den Nachwuchs für schlauer als er eigentlich ist?

 

„Die Leistungsgesellschaft hat sicherlich auch schon in diesem Bereich Einzug gehalten“, sagt Exle. Deshalb seien Gespräche mit Eltern über die Chancen und Risiken einer solchen Entscheidung auch so wichtig. Schlauer werden Kinder durch eine frühe Einschulung auf keinen Fall, so Exle. „Alle sind sich einig, dass Kinder für ihre Entwicklung die notwendige Zeit bekommen müssen.“

 

 

Kommentar von Ekart Kinkel: Wegweisende Entscheidung

 

Frühe Einschulung kann Kinder auch überfordern

 

Das eigene Kind ist immer etwas ganz Besonderes. Aber ist es auch besonders musikalisch, sportlich, kreativ und schlau? Da sollten Eltern auch auf die Expertise von Kitas, Schulen und Arztpraxen vertrauen. Denn dort hat man seit Jahren zahllose Mädchen und Jungen im Blick und kann die Fähigkeiten eines einzelnen Kindes sehr gut einordnen.

 

Doch die Frage nach einer früheren Einschulung bleibt am Ende doch meistens an den Eltern hängen. Soll ein Kind wirklich bereits mit fünf Jahren in die Grundschule oder ist nicht doch ein weiteres Kita-Jahr sinnvoll, das ist nur eine der Fragen, die vielen Eltern jedes Jahr zum Anmeldetermin schlaflose Nächte bereitet. Sich sklavisch an dem Einschulungstermin am 30. Juni zu orientieren, ist dabei sicherlich der falsche Weg. Denn was ist mit den Kindern, die Anfang Juli Geburtstag haben und ihren um wenige Wochen oder Monate älteren Kita-Freunden sowohl körperlich als auch kognitiv das Wasser reichen können? Die können bekanntlich bedenkenlos ein Jahr früher eingeschult werden, dafür gibt es ja den relativ langen Korridor für die sogenannten Kann-Kinder.

 

Doch falscher Ehrgeiz ist bei diesem Thema sicherlich der falsche Ratgeber. Ist ein Kind dem Schulalltag körperlich oder emotional noch nicht gewachsen, ist da genauso ein Grund für Frustration wie die mögliche Unterforderung durch ein weiteres Kita-Jahr. Außerdem werden bei der Einschulung Weichen für das spätere Leben gestellt. Wer sehr früh eingeschult wird, ist auch sehr früh mit der Schule fertig und muss dann mit 15, 16 oder 17 Jahren weitreichendere Entscheidungen über Ausbildung und Beruf treffen. Genau hinschauen und das Kind in den Mittelpunkt der Entscheidung stellen, lautet die Devise. Den meisten Eltern gelingt das ausgezeichnet. Wer sich unsicher ist: Nicht zögern und mit Kita, Schule und Ärzten reden.

 

 

Download
Wann ist ein Kind schulreif?
Artikel aus der BNN
Ausgabe 14, 18.01.2024
Seite 30
2024-01-18 BNN.pdf
Adobe Acrobat Dokument 1'007.0 KB